C. 78
(Zingerle Nr. 70)
Mirador should be here!

AN DEN GROẞARTIGEN HERRN GEORG HÖLLECHER, EIN NACHTS AUSGEARBEITETES EPIGRAMM VON GEORGIUS POSTHUMUS ÜBER SEINE MÜHSAL IM KERKER

AD MAGNIFICUM DOMINUM GEORGIUM HOELLECHREM EPIGRAMMA GEORGII POSTHUMI DE SUIS AERUMNIS IN CARCERE LUCUBRATUM

Beschreibung
In this elegy, the otherwise unknown Italian Georgius Posthumus addresses the civil servant Georg Hellecher/Elacher (attested as councillor and envoy of Emperor Maximilian as well as commissioner and captain of Pordenone in the 1480s and 1490s). The poet was - we do not know when, by whom and why - imprisoned for two months at Friedberg Castle near Volders (v. 9) and reports about his experience to Höllecher: beatings, hunger, cold, vermin, filth, xenophobic guards. He then thanks the Virgin Mary and the addressee heartily for their support.
Anzahl Seiten
4
Anzahl Zeilen
61
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Transkribierter Text Übersetzung
1 Cur nimium saevos debebam ferre furores Warum musste ich schuldlos derart grausame
2 Teutonicos insons, Hoellecher, ede mihi! teutonische Toberei ertragen, Höllecher, verrate mir das!
Teutonicos
The term “Teutoni” was applied to all Germanic populations located east of the Rhine in antiquity; later it was used as a synonym for “German” in general.
3 O ego non hostis, non fur, non proditor ullus Ach, ich war kein Feind, kein Dieb, kein Verräter
4 Australis domini non populator eram. des Herrschers im Süden, kein Zerstörer.
5 Si merui, patiar tales, sin non, mihi solus Wenn ich es verdient habe, will ich Solches erdulden, wenn aber nicht, wirst nur du mir
6 Maerores poteris voce levare tua. mit deiner Stimme meine Wehmut lindern können.
7 Non tibi cum Musis pingam nunc verba poetae, Die Übel, welche ich erlitten habe, will ich dir nun nicht mit museninspirierten
8 Sed mala conabor dicere passa mihi: Dichterworten ausmalen, sondern werde versuchen, einfach davon zu erzählen:
9 Castellum est falso dictum de nomine Fridperch Es gibt eine Burg, mit dem irreführenden Namen „Friedberg" versehen,
Castellum...Fridperch
cfr. introduction.
10 Iuxta Alam, fit ubi copia magna salis: bei Hall, wo große Salzmengen gefördert werden:
Alam
Hall in Tirol, where there were important salt mines.
11 Illuc me rapiunt spoliatum et verbere caesum, Dorthin zerrten sie mich, nachdem sie mir meine Kleider entrissen und mich mit Riemen verprügelt hatten,
12 Insuetum tristi carcere constituunt. und warfen mich in einen scheußlichen Kerker - eine völlig ungewohnte Situation für mich.
13 In quo dum iacui, canibus mihi frusta relicta Während ich darin so dalag, aß ich Essensreste, die mir die Hunde übriggelassen hatten,
14 Edi, ne ante diem mors cita me raperet; damit mich nicht vor der Zeit ein plötzlicher Tod dahinraffen würde;
15 Et - miser o nimium! - semper prope stercus edebam: und ich - ach, ich schrecklich Elender! - aß stets direkt neben den Scheißhaufen:
16 Spiritus unde mihi pestifer omnis erat. Deshalb war mir jeder Atemzug verpestet.
17 Cena erat hic panis frictus: nunc lacte natabat, Meine Mahlzeit bestand aus geröstetem Brot: Mal schwamm es in Milch,
18 Nunc iure - insulsus omnia panis erat. mal in Brühe - in jedem Fall war es ungewürzt.
19 Potus erant lacrimae, tellus mihi frigida lectus. Mein Trank waren die Tränen, die Erde war mir ein eiskaltes Bett.
20 Oravi ut melius - sed nocuere preces: Ich bat um bessere Behandlung - aber die Bitten machten es nur schlimmer:
21 Haec nam verba dabant custodes carceris illi, Die Kerkerwärter warfen mir Worte an den Kopf,
22 Rumpere quae possent saxea corda metu, die sogar steinharte Herzen durch Furcht zum Bersten bringen könnten,
23 Dicentes: „Nunc nunc graviter plecteris et illas, indem sie sagten: „Nun endlich wirst du hart bestraft und
24 Quas volumus, poenas, Itale, crede, dabis!" wirst so büßen, wie wir es wollen, Italiener, glaub' uns!"
25 Maestus erat sensus, cor, mens et viscera tota Meine Gefühle, mein Herz, mein Geist waren voller Trauer, und jeder Teil meines Körpers
26 Undique languebant omnibus acta malis; war kraftlos, zermürbt von all dem Unheil;
27 Nulla quies etenim, curis vexabar acerbis: denn keinerlei Ruhe war mir vergönnt, von schmerzlichen Sorgen wurde ich geplagt:
28 Magnus et illa labor otia semper erant. Diese Stunden des Nichtstuns waren stets eine große Pein.
29 Nostra situ et longo squalebant carcere membra - Meine Glieder starrten von der langen Zeit im Kerker vor Schmutz -
30 Qui potui has sordes Posthumus ipse pati? wie konnte ich, Posthumus, all den Schmutz nur ertragen?
31 Nam mea vestis erat tegmen nunc, lintea nuncve, Denn als Gewand war mal eine Decke, mal ein Laken,
32 Gausape nunc manibus: omnia vestis erat! mal ein Wolltuch zur Hand: Alles konnte für mich Kleidung sein!
33 Hinc pulices rostris lacerabant corpus acutis, An der einen Körperstelle zernagten Flöhe mit ihren spitzen Rüsseln meinen Körper,
34 Hinc scabies stimulus maximus alter erat. an der anderen quälte mich die Krätze ganz schrecklich.
35 Longos tundebam duris in cotibus ungues, Die langen Nägel hämmerte ich auf harten Wetzsteinen zurecht,
36 Barbam tondebam dentibus ipse meis. den Bart stutzte ich mit meinen eigenen Zähnen.
37 Hei mihi qualis eram! Tunc me non dixeris illum, Weh mir, wie ich aussah! Damals hättest du mich nicht für denselben gehalten,
38 Qui prius in comptis vestibus unus eram. der ich zuvor mit meinen schmucken Kleidern so einzigartig gewesen bin.
39 Luna duos sese volvendo impleverat orbes, Der Mond hatte in seiner Drehung schon zwei Kreisbahnen vollendet,
Luna...orbes
the expression indicates a two-month period.
40 Dum mala tot potui carceris ipse pati. während ich es schaffte, die vielen Übel der Gefangenschaft zu ertragen.
41 Iam pridem infernas subiisset spiritus umbras - Schon längst wäre meine Seele in die Höllenschatten eingetreten -
42 Sed quis clausisset lumina cara mihi? aber wer hätte mir die lieben Augen geschlossen?
43 At me servavit caeli mitissima virgo, Doch es rettete mich die unendlich sanfte himmlische Jungfrau,
44 Quae numquam servos deserit alma suos; die in ihrer Güte niemals ihre Diener im Stich lässt;
45 Cuius ego quotiens memini, sum fortis in omnem sooft ich an sie denke, gehe ich unerschrocken jedem
46 Fortunam et possum ferrea vincla pati! Schicksalslos entgegen und habe die Kraft, die eisernen Ketten zu ertragen!
47 Quam merito supplex divam venerabor ad aras Der heiligen Jungfrau werde ich an den Altären die Verehrung zuteilwerden lassen, die ihr gebührt,
48 Floribus et corde, vocibus usque meis. mit Blumenkränzen, mit meinem Herzen, mit meinen Worten, immerzu.
49 Qui cupit, hanc rogitet, vitam traducere tutam, Wer ein beschütztes Leben verbringen möchte, möge sie inständig darum bitten,
Tit. Georgium corr. Zingerle : Georigum O
48 vocibus usque corr. Zingerle : vocibusque O
54 pius corr. : prius O
55 vivus corr. Zingerle : uius O